Ein Atelier. Ein Blatt Papier.
Doch das Bild ist verschwunden.

1953 kauft Robert Rauschenberg eine Zeichnung von Willem de Kooning. Dann nimmt er einen Radiergummi – und löscht sie aus.

Strich für Strich verschwindet die Spur eines großen Künstlers.
Übrig bleibt eine fast leere Fläche, sanfte Schatten des Vergangenen.

Der Titel des Werks: „Erased de Kooning Drawing„.

Ein Kunstwerk, das nicht durch Schaffen, sondern durch Entfernen entsteht. Ein Bild, das existiert, weil es nicht mehr da ist.


Ein Raum. Weiße Wände.
Menschen strömen hinein, bleiben stehen.
Es gibt nichts zu sehen.

1958 in Paris lädt Yves Klein zur Ausstellung Le Vide – „Die Leere“.
3000 Besucher:innen, darunter Albert Camus, treten in eine Galerie ohne Kunstwerke. Kein einziges Bild an den Wänden. Nur Licht, nur Raum.

Camus schreibt ins Gästebuch:

„Avec le vide, les pleins pouvoirs.“
„Mit der Leere, alle Macht.“

Die Abwesenheit wird zum Kunstwerk.


Fast 70 Jahre später, Wien, Arsenal.
Ein anderer Raum, eine andere Leere.

200 Feldbetten im Halbdunkel.
Keine Bühne, kein Konzertsaal. Menschen, die sich hinlegen.

Sleep“ ist eine 8-stündige Komposition von Max Richter mit einer Einladung, in die Musik hineinzusinken. Pulsierende Streicher, sanfte Elektronik. Klang, der nicht fordert, sondern trägt.

Menschen schlafen, lauschen, wachen wieder auf.
Ist das noch Musik? Oder ein Zustand?


  1. Die Abwesenheit als zentrales Element
    Statt durch das Hinzufügen von etwas Neues entsteht Bedeutung durch das Weglassen. Kleins Galerie ist leer, Richters Konzert führt in den Schlaf, Rauschenberg löscht ein Meisterwerk aus. In allen drei Fällen wird die Leere nicht als Mangel, sondern als bewusste künstlerische Geste eingesetzt.
  2. Das Unsichtbare wird sichtbar
    Indem sie etwas entfernen oder nicht liefern, was erwartet wird, lenken die Künstler:innen die Aufmerksamkeit auf das, was übrig bleibt: die Reaktion des Publikums, den Raum selbst, das Echo der Abwesenheit. Diese Werke fordern den Betrachtenden oder Zuhörenden heraus, die eigene Wahrnehmung neu zu justieren.
  3. Wahrnehmung als aktiver Prozess
    Kein passiver Konsum: Die Leere verlangt eine Auseinandersetzung. Das Publikum wird in eine neue Rolle gezwungen – nicht nur Zuschauer:in, sondern Mitgestalter:in der Erfahrung. Ohne Bild, ohne Klang, ohne Zeichnung bleibt nur die Frage: Was sehe ich, wenn nichts mehr da ist?

Es ist keine „Nichts“-Kunst. Es ist Kunst über die Kraft des Fehlens. Über die Bedeutung dessen, was bleibt, wenn das Erwartete nicht eintritt.

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