Das Opfer und die, die es tragen – Reflexionen zum Opferfest

Eid al-Adha, das islamische Opferfest, erinnert an eine Geschichte des Opfers – aber wer trägt das Opfer im Alltag? Dieser Text ist eine persönliche, künstlerische und spirituelle Annäherung die rote Linie zwischen Ritual und Realität, an das, was gegeben wird, ohne je genannt zu werden.

Das Opfer und die, die es tragen

Die Erzählung, auf der das islamische Opferfest basiert, gehört zu den kraftvollsten Überlieferungen der abrahamitischen Religionen. Ibrahim – Abraham – erhält den göttlichen Auftrag, seinen Sohn Ismail zu opfern. Ismail, der Sohn, stimmt zu. Am entscheidenden Punkt wird er verschont, ein Lamm tritt an seine Stelle. Der Moment wird zum Ritual, das bis heute von Millionen begangen wird.

Ein Tier wird als Zeichen von Hingabe, Vertrauen und Dankbarkeit geopfert. Das Fleisch wird mit Familie, Nachbarn und Bedürftigen geteilt. Die Regeln sind klar: das Tier muss gesund und alt genug sein. Weiblich oder männlich? Beides ist erlaubt, aber in der Praxis werden männliche Tiere bevorzugt.

Das ist die theologische Ebene.

Was mich als Kultur- und Sozialanthropologin natürlich immer schon beschäftigt, ist nicht allein, was überliefert wird, sondern was in der gelebten Realität mitschwingt: Wer gibt tatsächlich etwas auf? Wer trägt Tag für Tag die stillen, unausgesprochenen Opfer? Und warum werden bestimmte Opfer überhaupt nicht als solche bezeichnet?

Es sind nämlich oft Frauen, die sich wie selbstverständlich „opfern“. Nicht durch ein einmaliges Ereignis, sondern durch eine Kontinuität des Gebens: ohne Bühne, ohne Ritualsprache, ohne Applaus. Sie geben Zeit, Energie, Zuwendung und Raum aus gelebter Verantwortung. Und oft geschieht dieses Geben leise, eingebettet in den Alltag und ohne zu fragen „Warum?“.

In meiner Kunst versuche ich, diesen Raum zu öffnen.

Das Rot, das viele meiner Werke durchzieht, ist Farbe. Und es ist legacy, lineage und körperlich gespeichertes Wissen. Es steht für Wunden, aber auch für Würde. Für Linien, die sich durch Generationen ziehen – nicht als Erbfolge im klassischen Sinn, sondern als Weitergabe von Haltung, Widerstandsfähigkeit und Präsenz.

Eid al-Adha erinnert an ein Opfer.

Und es erinnert auch an eine Differenz: zwischen dem, was erzählt wird, und dem, was geschieht. Zwischen der symbolischen Geste und der gelebten Realität. Zwischen Ritual und Lebensform. Und genau in diesem Spannungsfeld und in-between verorte ich meine künstlerische Arbeit.

Theologie und Realität, Kunst und Politik, Geschlecht und Gerechtigkeit, Gesellschaft und das Selbst…ich meine: „Es ist kompliziert, Gott sei Dank.“ 😉

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