Hört eh niemand zu, also…
Warum überhaupt noch etwas erschaffen?
Du sitzt vor der leeren Leinwand. Dem unbeschriebenen Blatt. Der unberührten Tastatur.
Die Frage steigt auf wie ein schleichendes Gift:
„Wozu das alles? „
Niemand wird es sehen. Niemand wird es verstehen. Niemand wird sich darum kümmern. Deine Worte verhallen ungehört. Deine Bilder bleiben ungesehen. Deine Musik ungehört.
Und selbst wenn – wer würde dafür bezahlen? Die Kalkulation ist brutal: Materialkosten, Ateliermiete, Transportkosten, Ausstellungsgebühren. Unzählige unbezahlte Stunden der Konzeption, Umsetzung, Marketing, Präsentation. Am Ende bleibt oft ein Minusgeschäft, bei dem die einzige Währung das gelegentliche Lob einer Handvoll Besucher ist. „Wie schön!“ sagen sie – aber selten „Wie viel?„
Hört eh niemand zu, also…
Warum nicht einfach aufgeben?
- Die Werke, die niemals entstehen, können auch nicht scheitern.
- Die Gedanken, die niemals ausgesprochen werden, können auch nicht missverstanden werden.
- Der Schmerz, der nie in Kunst transformiert wird, kann auch nicht trivialisiert werden.
- Die Wahrheit, die nie ausgesprochen wird, kann auch nicht auf taube Ohren stoßen.
- Die Geschichte, die nie erzählt wird, kann auch nicht als banal abgetan werden.
Die Zeit könnte man in etwas „Sinnvolleres“ investieren – etwas, das die Miete bezahlt und die Existenzangst lindert.
Diese lähmende Selbstzensur ist der ständige Begleiter fast aller kreativen Seelen. Der Flüsterer, der uns einredet, dass unsere Stimme nicht wichtig genug, nicht originell genug, nicht laut genug ist, um gehört zu werden. Und vor allem: nicht profitabel genug, um gerechtfertigt zu sein.
Im März 2023 (der Monat, in dem ich mich auch vom Vater meines jüngsten Kindes trennte) beschloss ich, genau dieser Flüsterstimme einen Raum zu geben – sie nicht zu bekämpfen oder zu leugnen, sondern sie zum zentralen Element einer Installation zu machen, denn: hört eh niemand zu .😉
Bei der Gruppenausstellung #rumdumadum im Kulturankerzentrum Schlingermarkt in Wien von 16.-18.03.2023 wurde „Hört eh niemand zu, also…“ zu einem Experiment über Abwesenheit und Präsenz, über das Sprechen ins Nichts – und die überraschenden Echos, die zurückkommen können.

Christine Ebner, Ursula Hammerschick, Nora Kalinda, Sonal Nathwani, Josepha Raho, Alexandra Rusz, Regine Tarmann, Valerie Marie Voithofer und Astrid Zwick
Heute, fast exakt zwei Jahre später, blicke ich auf dieses Projekt zurück und erkenne mit Erstaunen: Was damals als spontane Reaktion auf eine innere Stimme das erste Mal sichtbar wurde, war der unbewusste Anfang einer viel tieferen künstlerischen Auseinandersetzung. Das „Nichts“, die Abwesenheit, die leisen Zwischenräume – sie haben mich immer beschäftigt, nie losgelassen. Ohne es zu ahnen, legte ich mit dieser Installation den Grundstein für das, was heute in meinem Projekt „30 Days of Absence as a Sign of Presence“ eine wunderbare Fortsetzung findet.

© Valerie Marie Voithofer
Die Geburt eines kollektiven Kreises
Die Geschichte hinter #rundumadum begann im Dezember 2022 mit einem informellen Treffen im Atelier2 – das Atelier, das ich damals mit Ursula Hammerschick und Alexandra Rusz teilte. Es war die Geburtsstunde des ArtSalonWien, inspiriert von der historischen Salonkultur: ein Ort des gemeinsamen künstlerischen Schaffens, Reflektierens und Austauschs.
Bei diesem ersten Zusammenkommen entstand spontan die Idee einer Gruppenausstellung. Neun Künstlerinnen, darunter ich selbst, wagten ein Experiment mit dem Symbol des Kreises – dieser uralten Form der Verbundenheit, der Gemeinschaft, des ewigen Wandels.
Der kreative Prozess war selbst ein Akt des gemeinschaftlichen Kunstschaffens: Jede von uns gestaltete zunächst einen einfachen Kreis – gezeichnet, gemalt oder skizziert, spontan aus dem Moment heraus. Diese individuellen Kreise legten wir digital übereinander und schufen daraus eine gemeinsame Siebdruckvorlage. Andreas Nader vom benachbarten Siebdruckatelier druckte dann diese überlagerten Kreise in einem kraftvollen Magenta-Rot auf hochwertiges Papier.
Jede Künstlerin erhielt mehrere dieser identischen Drucke und begann, sie in völlig unterschiedliche Richtungen weiterzuentwickeln – von großformatigen abstrakten Gemälden bis hin zu filigranem Schmuck.

Von kreisenden Gedanken zu hängenden Kreisen
Mein eigener Beitrag entwickelte sich in eine unerwartete Richtung. In Stickrahmen gefasst, schwebten meine Siebdrucke als kreisförmige Objekte im Raum – hinterlegt mit traditionellem Wiener Geflecht, einer bedeutungsvollen Materialwahl, die auf die Verwobenheit unserer Gedanken und die feinen Zwischenräume verweist. Die Stickrahmen selbst waren ein bewusstes Statement, inspiriert von der Textilkunst, die traditionell als „Frauenkunst“ oft noch weniger Beachtung findet.

Auf den Drucken hatte ich asemische Schrift eingefügt – absichtlich nicht lesbare, handschriftähnliche Linien, die die Form von Sprache imitieren, ohne tatsächliche Worte zu bilden. Eine visuelle Metapher, die das Konzept unterstrich: Hört eh niemand zu, also warum überhaupt verständlich kommunizieren?

© Valerie Marie Voithofer
Die leicht im Raum schwebenden Kreise umrahmten diese unlesbaren Gedankenfragmente und wurden zu visuellen Manifestationen eines inneren Dialogs. Darunter platzierte ich einen alten Thonet-Sessel, einen rostigen runden Gartentisch mit Spiegel und einen Teppich – eine Einladung zum Verweilen, zum Innehalten in der Hektik.

© Valerie Marie Voithofer
An der Wand stand in roter Schrift die Provokation:
„Hört eh niemand zu, also…“
Diese fünf Worte wurden zur Einladung an alle Besucher, ihre eigenen Gedanken zu teilen – jene Gedanken, die wir oft nur zu uns selbst sagen, wenn wir glauben, dass niemand zuhört.

Die Sinnfrage im künstlerischen Schaffen
Der Titel „Hört eh niemand zu“ trägt einen bewusst sarkastischen Unterton, der eine grundlegende Frage aufwirft: Wenn ohnehin niemand zuhört, warum machen wir dann Kunst? Warum investieren wir unzählige Stunden, Energie und finanzielle Mittel in Ausstellungen? Worin liegt der Sinn, wenn unsere Botschaften ungehört verhallen?
Diese existenzielle Frage trifft den Kern vieler künstlerischer Schaffensprozesse: Wir erschaffen, ohne zu wissen, ob jemand wahrnimmt. Wir senden Botschaften ins Ungewisse. Wir arbeiten oft im vermeintlichen Nichts, in der Abwesenheit von unmittelbarem Feedback.
Es war eine künstlerische Erkundung der Frage: Was bedeutet es, zu sprechen, wenn niemand zuhört? Ist es wirklich sinnlos? Oder bietet diese vermeintliche Leere einen besonderen Raum für Authentizität?
Die Antworten im „Nichts“
Während der 3-tägigen Ausstellung vom 16. bis 18. März 2023 im Kulturankerzentrum Schlingermarkt/KulturSchlinger entstand eine bemerkenswerte Sammlung von Antworten. 48 verschiedene Statements fanden ihren Weg an „meine“ Wand – in Deutsch und Englisch, mit kleinen Zeichnungen, Emojis, manchmal signiert, manchmal anonym. Sogar Kinder beteiligten sich mit unbekümmertem Eifer.

© Valerie Marie Voithofer
Diese Antworten bildeten einen interessanten Kontrast zur ursprünglichen Provokation. Sie zeigten, dass die Frage „Hört eh niemand zu?“ im Grunde schon selbst ihre Antwort trägt – denn offensichtlich hörten viele zu und fühlten sich bewegt, zu antworten.
48 Antworten, Geschenke, Echos – mal humorvoll, mal tiefgründig, mal sarkastisch, mal weise. Jede einzelne ein kleines Fenster in die Gedankenwelt einer Person, die sich mit dem vermeintlichen „Nichts“ konfrontiert sah.
Möchtest du einige lesen?

Hört eh niemand zu, also…
…schreibe ich einen Liebesroman.
…bin ich eine Künstlerin.
…mal ich trotzdem weiter.
…singe ich meine Lieder laut mit.
…kreische ich im Auto mein eigenes Konzert.
…sing ich, weil ich mich über die wunderschönen Arbeiten hier freue.
…schreib ich.
WENN NIEMAND ZUHÖRT, ENTSTEHT KUNST
Hört eh niemand zu, also…
…rede ich mit mir selbst und finde immer was Neues raus.
…kann ich eintauchen in das Feld an unendlichen Möglichkeiten.
…träume ich.
…also widme ich mich genüsslich meinen Träumereien.
…erzähle ich so nach und nach von meinen innersten Geheimnissen.
…dann weiß ich auch noch nicht, was ich will.
WENN NIEMAND ZUHÖRT, WACHSEN WIR NACH INNEN
Hört eh niemand zu, also…
…lass ich ein schiaches Stinkepupsi.
…masturbiere ich.
…schreib ichs ihnen auf die Stirn.
…tätowier ichs auf meinen Arm. 😉
…rede ich begeistert mit mir selbst, widerspricht keiner 😉
…baue ich Häuser für meine Gücksfee.
WENN NIEMAND ZUHÖRT, DARF MAN SCHMUNZELN
Hört eh niemand zu, also…
…bist du immer frei.
…wenn man sieht, hört es nicht. Es schwingt und klingt.
…rede ich mit dem Universum, das hört zu…immer.
…sag ich nichts.
…bist du wichtig und richtig.
WENN NIEMAND ZUHÖRT, WIRD PHILOSOPHIE LEBENDIG
Hört eh niemand zu, also…
…rede ich lauter.
…schrei ich.
…red ich so lange, bis einer zuhört.
…hör ich zu, mach ich erst recht weiter.
…mach ich, was ICH will.
…singe und tanze ich ganz wild.
WENN NIEMAND ZUHÖRT, WIRD STILLE ZUR KRAFT
DANKE!

© Valerie Marie Voithofer
Das Nichts als Resonanzraum
Was mich an diesem Projekt beschäftigte, war die Beobachtung, dass das vermeintliche „Niemand hört zu“ vielleicht nicht die ganze Wahrheit ist. Die Leere, in die wir sprechen, ist oft kein Vakuum, sondern ein Spiegel und Resonanzraum. Manchmal braucht es nur eine Einladung, einen geschützten Raum, eine offene Frage – und plötzlich antworten Menschen, die wir nicht zu erreichen glaubten.
Die 48 Antworten sind Hinweise darauf, dass wir selten wirklich ins Nichts sprechen. Selbst wenn die unmittelbare Resonanz fehlt, schwingt etwas mit. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen – aber irgendwann, irgendwo findet jeder Ausdruck sein Echo.
In diesem Sinne war „Hört eh niemand zu“ mehr als eine Installation – es war eine Exploration dessen, was im Zentrum meines aktuellen Projekts „30 Days of Absence as a Sign of Presence“ steht: Die vermeintliche Abwesenheit ist eine Form der Präsenz.
Das scheinbare Nichts ist voller Potenzial.
Oder wie eine der Besucher schrieb: „…kann ich eintauchen in das Feld an unendlichen Möglichkeiten.“

© Valerie Marie Voithofer
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